China zum 70. Jahrestag: Wachstum, Widersprüche und Zukunft
Zum 70. Jahrestag der Volksrepublik China: Wachstum, Widersprüche und zukünftige Herausforderungen
Seit 2012 bin ich ein häufiger Besucher der Volksrepublik China – mein Reisepass hat mittlerweile 52 rote Stempel. Dennoch bin ich als Westler immer noch oft erstaunt über die Widersprüche, denen ich dort begegne.
China, dessen Kommunistische Partei heute ihren 70. Jahrestag feiert, ist ein Land der Extreme – und doch schreitet es unaufhaltsam voran. Dieselbe Nation, die für Menschenrechtsverletzungen kritisiert wird, hat über 800 Millionen Menschen aus der Armut befreit: Das Pro-Kopf-BIP stieg von nur 89 US-Dollar im Jahr 1960 auf heute rund 10.000 US-Dollar. Im selben China, wo Kinder auf dem Land Müll verbrennen, um sich warm zu halten, wurden 2017 jede Woche zwei neue Milliardäre geschaffen, und die Lebenserwartung ist von 43,7 Jahren (1960) auf fast 80 Jahre gestiegen.
Wie auch immer man China betrachtet, man muss China betrachten. Für Investoren ist es schon lange unmöglich, es zu ignorieren.
1949: Mao als Kämpfer gegen die Inflation
Die Nationalisten von Chiang Kai-Shek hatten die Wirtschaft durch massive Gelddruckerei während des Krieges gegen Japan und des Bürgerkriegs gegen die Kommunisten ruiniert. Hyperinflation und Korruption ebneten Mao Zedong den Weg zur Machtübernahme.
1958–1962: Der „Große Sprung nach vorn“
Mao war weder Ökonom noch Agrarexperte. Sein Versuch, Bauern in Volkskommunen zu kollektivieren und gleichzeitig die Stahlproduktion zu forcieren, führte zur tödlichsten Hungersnot des 20. Jahrhunderts: bis zu 45 Millionen Tote. Der Lebensstandard sank um 20 %.
1966–1976: Die Kulturrevolution
Mao wandte sich gegen Intellektuelle und das kulturelle Erbe. Universitäten wurden geschlossen, Gelehrte verfolgt und die Industrieproduktion brach 1967 um 14 % ein.
1979: Deng Xiaoping öffnet die Tür
Mit seiner „Politik der offenen Tür“ begann Chinas Wirtschaftswunder. Dengs pragmatisches Motto: „Es spielt keine Rolle, ob eine Katze schwarz oder weiß ist – solange sie Mäuse fängt.“
Die Mischung aus Marktkräften und staatlicher Kontrolle ermöglichte den Aufstieg. Zwischen 1978 und 2018 wuchs Chinas reales BIP um durchschnittlich 9,5 % pro Jahr.
2013 bis heute: Die Ära Xi Jinping
Unter Xi hat China Wachstumsraten von über 6 % beibehalten, allerdings auf Kosten einer stark steigenden Verschuldung. Geisterstädte, staatlich gestützte Unternehmen und ein Schattenbanksystem werfen Fragen zur langfristigen Nachhaltigkeit auf.
Der Handelskrieg mit den USA
Der Konflikt begann 2018 unter Donald Trump aufgrund massiver Handelsungleichgewichte und weitete sich bald auf Streitigkeiten über Subventionen und Technologietransfer aus.
Zukünftige Treiber: Technologie & Selbstversorgung
* 5G: Dank zentraler Kontrolle baute China schnell ein landesweites 5G-Netzwerk auf.
* Künstliche Intelligenz: Die Regierung investiert massiv mit dem Ziel, bis 2030 weltweit führend zu sein.
* Made in China 2025: Ein strategischer Plan für die Unabhängigkeit in Schlüsselindustrien – von Robotik und Hochgeschwindigkeitszügen bis hin zur Medizintechnik.
Chinas aktuelle Herausforderungen
Trotz seiner wirtschaftlichen Erfolge steht China nun vor tiefgreifenden Herausforderungen:
* Immobilienkrise: Der Zusammenbruch von Giganten wie Evergrande und Country Garden hat das Vertrauen in den Immobiliensektor erschüttert. Da Immobilien fast ein Drittel der chinesischen Wirtschaft ausmachen, könnte das langfristige Wachstum beeinträchtigt werden.
* Demografischer Rückgang: Die Geburtenraten sind auf Rekordtiefs gesunken. Bis 2050 könnte Chinas Bevölkerung um Hunderte von Millionen schrumpfen, was zu weniger Arbeitskräften führt und die Renten- und Gesundheitssysteme belastet.
* Geopolitische Spannungen: Handelskonflikte mit den USA, wachsende technologische Konkurrenz und zunehmende Skepsis aus Europa erschweren den Zugang zu globalen Märkten. Gleichzeitig zwingt dieser Druck China, seine eigenen Innovationsfähigkeiten zu stärken.
Fazit
Zum 70. Jahrestag präsentiert sich China als ein Land der Extreme: eine historische Zivilisation, eine wirtschaftliche Großmacht und eine Gesellschaft voller Widersprüche. Die Frage ist nicht mehr, ob China eine zentrale Rolle in der Welt spielt, sondern wie es diese Rolle in Zukunft definieren wird. Zwischen Immobilienchaos, demografischem Wandel und geopolitischem Druck wird die Zukunft des „chinesischen Modells“ darüber entscheiden, ob es eine Erfolgsgeschichte bleibt oder an seine Grenzen stößt.
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